Botticelli hat vor allem durch die zu seiner Zeit bahnbrechenden mythologisch-allegorischen Gemälde „Primavera“ und „Geburt der Venus“ Weltruhm erlangt. Beide sind als kulturelles Allgemeingut, und sei es in der Werbung, präsent. Auch seine schönen, elegischen Madonnen trugen zum Klang seines Namens bei. Völlig unbekannt ist das Bild des jungen Mannes nicht, da es seit den 1930er Jahren mehrmals den Besitzer gewechselt hat und in prominenten Museen wie dem Städel in Frankfurt ausgestellt war. Auch in diesem Porträt erweist Botticelli sich als „moderner“ Maler, hat er doch dazu beigetragen, das in Italien zuvor übliche Profilbildnis zugunsten des Frontalansicht aufzugeben. Der portraitierte Jüngling schaut einen an und hält dabei Distanz.
Botticelli griff zu Tempera; die Ölmalerei hatte sich in seiner Heimat noch nicht etabliert. Dass er den »Jungen Mann mit Medaillon« nicht gänzlich frontal gemalt hat, sollte man nicht etwa als zaghaft, vielmehr als psychologisch geschickt werten. Denn so verleiht er dem Blick seines Modells aufmerksame Präsenz; und so nimmt der junge Mann, fast noch ein Jüngling, über rund 550 Jahre hinweg Blickkontakt mit dem Betrachter auf, gibt aber zugleich aus den Augenwinkeln zu verstehen, dass man Distanz wahren soll. Er hat einen aristokratisch schmalen Kopf, ein makelloses Inkarnat und seidiges dunkelblondes Haar, halblang nach der Mode seiner Zeit. Auch das elegante dunkelblaue Gewand mit dem weiß abgesetzten Stehkragen betont seine Stellung. Sie wiederum setzt die Zugehörigkeit zu den humanistischen Kreisen in Florenz voraus. Er schaut ja auch wie ein junger Intellektueller.
Und doch bleibt die Identität sein Geheimnis. Vermuten kann man sie in der Familie Medici oder in ihrem Umkreis, weil Lorenzo de’ Medici, genannt il Magnifico, Botticelli unter den Florentiner Malern bevorzugte. Der noble Unbekannte posiert vor einem dunklen Rahmen. In der Rückschau auf die jüngere Kunstgeschichte könnte dem Betrachter eine Stilverwandtschaft mit der Neuen Sachlichkeit auffallen, und dies wegen der klaren Konturen, der Flächenmalerei mit dem glatten, „unsichtbaren“ Pinselstrich. Überdies repräsentiert dieser junge Gebildete den Typus, den die Nazarener im 19. Jahrhundert – vermittelt durch Raffael – verehrt haben.
In seinen schmalen Händen präsentiert der junge Mann ein Medaillon aus dem 14. Jahrhundert, eigentlich schon mehr ein kleines Tondo, das dem Sieneser Maler Bartolomeo Bulgarini zugeschrieben wird. Erkennen lässt sich das Bild eines bärtigen Heiligen über goldn ornamentiertem Grund. Zum einen wird deutlich, dass Botticelli einen jungen Zeitgenossen darstellt, der sich offenbar zur Glaubenswelt oder der Philosophie dieses Heiligen bekennt. Zum anderen lässt sich das Medaillon als Vanitas-Symbol deuten: als die versteckte Botschaft des Malers Botticelli an sein Modell, dass auch dessen stolze Jugend nicht ewig währt.
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