Mit der epochenübergreifenden Ausstellung »Femme fatale. Blick – Macht – Gender« widmet sich die Hamburger Kunsthalle erstmalig dem vielfältig bearbeiteten, schillernden wie klischeebehafteten Vorstellungsbild der Femme fatale.
Das Stereotyp der erotisch-verführerischen und begehrenswerten Frau, die Männer in ihren Bann, aber letztendlich auch in ihr Unglück zieht, war lange von männlichen Blickmustern und einem binären Verständnis von Geschlecht geprägt.
Im Fokus der Schau stehen die künstlerischen Erscheinungsformen des Themas vom frühen 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Zugleich soll der Mythos in seinen Ursprüngen und Wandlungen kritisch befragt werden:
Welche historischen Transformationen und späteren Aneignungsprozesse hat das Vorstellungsbild der Femme fatale durchlaufen? Welche Rolle spielt es heute? Wie verhandeln aktuelle Künstler*innen dessen Blick-, Macht- und Gender-Konstellationen und verändern damit die Perspektive darauf? Um diesen Fragen nachzugehen, versammelt die Ausstellung medienübergreifend etwa 200 Exponate.
Zu sehen sind Gemälde präraffaelitischer Künstler*innen (Evelyn de Morgan, Dante Gabriel Rossetti, John William Waterhouse) ebenso wie Werke des Symbolismus (Fernand Khnopff, Gustave Moreau, Franz von Stuck), des Impressionismus (Lovis Corinth, Max Liebermann), des Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit (Dodo, Oskar Kokoschka, Jeanne Mammen, Edvard Munch, Gerda Wegener).
Mit Positionen der frühen feministischen Avantgarde (Birgit Jürgenssen, Maria Lassnig, Betty Tompkins) sowie aktuellen Arbeiten mit intersektionalen und (queer-)feministischen Ansätzen (Jenevieve Aken – Fellow der Philipp Otto Runge Stiftung – Nan Goldin, Mickalene Thomas, Zandile Tshabalala) wird der Bogen in die Gegenwart geschlagen.
Zu den Gemälden, Zeichnungen, Druckgrafiken, Fotografien, Skulpturen, Installationen und Videoarbeiten zählt eine Fülle hochrangiger internationaler Leihgaben ebenso wie Hauptwerke der Hamburger Kunsthalle. Highlights sind unter anderem Gustave Moreaus symbolistisches Hauptwerk Ödipus und die Sphinx (1864), Edvard Munchs Gemälde »Vampir im Wald« (1916–1918), Sonia Boyces vieldiskutierte Videoinstallation »Six Acts« (2018) sowie Nan Goldins aktuelle Videoarbeiten »Sirens« (2019–2021) und »Salome« (2019).
Das »klassische« Bild der Femme fatale speist sich vor allem aus biblischen, mythologischen und literarischen Frauenfiguren wie Judith, Salome, Medusa, Salambo oder die Sirenen), die in der Kunst zwischen 1860 und 1920 als »verhängnisvolle Frauen« vielfältig rezipiert wurden. Zwischen Ideal- und Angstbild changierend, sind die Bilder oftmals geprägt von der Stilisierung ihrer Protagonistinnen und einer gleichzeitigen Dämonisierung weiblicher Sexualität.
Dieses Frauenbild wurde um 1900 vermehrt auch auf reale Personen, insbesondere Schauspieler*innen, Tänzer*innen oder Künstler*innen (wie Sarah Bernhardt, Alma Mahler oder Anita Berber) projiziert.
Auffallend ist die Gleichzeitigkeit einer voranschreitenden Frauenemanzipation und dem verstärkten Auftreten des Bilds der Femme fatale. Als ein Gegenbild, das Aspekte der Femme fatale subtil aufgreift, nimmt die Ausstellung daher auch das in den 1920er-Jahren aufkommende Ideal der Neuen Frau in den Blick.
Ebenso entscheidend ist die Zäsur, die ab den 1960er-Jahren von feministischen Künstler*innen mit ihrer radikalen Dekonstruktion des Mythos – und damit auch den entsprechenden Blickweisen und Bildtraditionen – gesetzt wurde. Aktuelle künstlerische Positionen wiederum widmen sich Fragen nach Genderidentitäten, weiblicher Körperlichkeit und Sexualität ebenso wie der #MeToo-Bewegung und dem male gaze. Sie verhandeln Spuren und Anverwandlungen des Bildes oder etablieren explizite Gegenerzählungen.
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